Ein Interview mit Dieter Sieger

Eine Frage des Stils

Er hat Klassiker wie die Kreuzgriffarmatur Tara geschaffen, Luxusjachten entworfen und unseren Alltag ein Stück lebenswerter gemacht: Dieter Sieger gilt als einer der bedeutendsten Reformer des Baddesigns. Wir haben ihn in seiner Heimatstadt Münster besucht.

Dieter Sieger ist ein Ästhet durch und durch. Der Designer aus Münster hat unseren Alltag geprägt wie kaum ein anderer. Vor allem unsere Badezimmer: Waschbecken, Badewannen, Armaturen oder Spiegel – was in deutschen Bädern nicht nur funktioniert, sondern auch toll aussieht, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auf seinem Zeichentisch entstanden.

Sein wohl größter Geniestreich ist die Kreuzgriffarmatur „Tara“ für Dornbracht, ein Millionenseller. Außerdem hat er Leuchten und Porzellan, Gläser, Bestecke und mehr entworfen. Privat sammelt er enthusiastisch Kunst und modernes Design. Im blue-Interview erläutert der „Grandseigneur des Baddesigns“ seinen Anteil an der Erneuerung der Badkultur und wirft einen kritischen Blick auf das zeitgenössische Design.

blue-Magazin Herr Sieger, gibt es aktuelle Entwürfe fürs Bad, von denen Sie sagen würden: „Das ist wirklich qualitätsvoll?“

Dieter Sieger Ja, die gibt es. Ich vertrete ja eine klassische, geometrische Linie, denn ich weiß, dass die Bestand hat. Wenn ich auf Reisen in Hotels bin, auch in guten Häusern, staune ich aber immer wieder, wie schlecht die Bäder zum Teil gemacht sind – auch was die Funktion betrifft.

 

blue Zum Beispiel? 

Sieger Oft ist die Ablagefläche viel zu klein. Wobei sich in den vergangenen zehn Jahren schon etwas getan hat, aber eben noch nicht genug. Wirklich vorbildlich sind die neuen Bäder im Excelsior Hotel Ernst in Köln: Dort gibt es große Flächen, eingebaute Becken, nicht diese modischen Aufsatzbecken. 

Vita
Geboren am 3. Mai 1938 in Münster.

Verheiratet mit Fransje Sieger.

Zwei Söhne Michael und Christian, die heute „sieger design“ leiten.

Arbeitete zunächst als Architekt, später als Designer für Luxusyachten und dann als Produktdesigner.

2003 Rückzug aus der Geschäftsführung und Konzentration auf seine Kollektion „Masterpieces“.
„Und ich behaupte, dass noch immer viele Architekten vom Bad keine Ahnung haben.“


blue Sehen Sie im fortgeschrittenen Alter das Baddesign anders als vor 25 oder 30 Jahren? 

Sieger Nein. Die Grundlinien gelten genauso wie vor 25 oder 30 Jahren. Elementar wichtig ist es, einen funktionalen Waschplatz zu haben. Verstellbare, drehbare Spiegel zum Beispiel, die gab es damals gar nicht. Vernünftige Abstellflächen, praktikable Spiegel und gute Beleuchtung – diese Grundprinzipien eines Bades habe ich Zeit meines Lebens beibehalten. Der große Erfolg der Tara-Armatur gründet sich ja auch auf deren Funktionalität. 

 

blue Aktuelle Bäder sind heute eigentlich grundsätzlich barrierefrei. Wie hat man früher Bäder geplant und was würden Sie Bauherren, die ihr Bad umbauen wollen, empfehlen, damit ihr Bad bis ins hohe Alter nutzbar ist? 

Sieger Man muss immer bedenken, dass wir alle älter werden. Da macht Barrierefreiheit natürlich Sinn. Ich rate auch immer, eine gewisse Größe zu planen, es sollte nicht zu eng sein im Bad. Und ich behaupte, dass noch immer viele Architekten vom Bad keine Ahnung haben. Architekturstudenten haben mir oft gesagt, dass sie Bäder nach Schablonen planen; bis heute finden Sie dieses Schema F in vielen Häusern und Hotels. Viele Armaturen sind auch in der Bedienung zu kompliziert. Auch ich stehe manchmal in einem Hotel und weiß nicht, wie das funktioniert. 

Damals habe ich eine Duscharmatur erfunden, die äußerst simpel ist: Drei Griffe, mehr braucht man nicht. Ich bin ein großer Anhänger der Dreiloch-Armatur, also zwei Hebel und ein Auslauf, weil die so simpel ist. Oder die Wannen: Wenn der Rand zu schmal ist, dann können Sie darauf nicht einmal sitzen. Schlimm! 

blue Sie dürfen ruhig unbescheiden sein: Wie hoch ist Ihr Anteil an den ästhetischen Veränderungen in deutschen Badezimmern? 

Sieger (lacht) Man hat mich ja immer den „Design-Papst des Bades“ genannt. Ich habe in den 80er-Jahren Hochseeyachten ausgestattet. Bei Alape haben sie mal ein Foto von den Sanitäranlagen einer solchen Yacht gesehen und gesagt: Herr Sieger, Sie müssen für uns arbeiten! Dann habe ich 1983 auf der ISH den ersten Lackschrank mit Waschtisch für Alape gemacht. In verschiedenen Farben! Auf der Messe sprachen mich dann bestimmt zehn Firmen an, unter anderem auch Duravit, für die ich dann auch gearbeitet habe. Ich war damals derjenige, der das Baddesign in Deutschland von Grund auf erneuert hat. 

 

blue Ist gutes Baddesign automatisch teurer?

Sieger Nein! Es muss ja nicht unbedingt Marmor sein. Und ein Bad muss auch nicht bis an die Decken gefliest sein. Es gibt Bäder, die sehen aus wie eine Metzgerei. Man kann sein Bad sehr wohl sehr preiswert, aber dennoch qualitätsvoll gestalten. Aber das hängt an der Planung – und da hakt es noch zu oft.

 

blue Was gehört denn alles in ein zeitgemäßes, funktionales Badezimmer?

Sieger Wenn ich wenig Geld habe, gehören da eine Dusche und ein vernünftiger Waschtisch rein. Wenn ich es mir eben leisten kann, dann nehme ich einen Doppelwaschtisch. Und nach Möglichkeit auch eine Wanne.

 

blue Ihre Entwürfe gründen sich fast immer auf geometrischen Formen. Weshalb dieses Prinzip?

Sieger Ja, immer! Ein Quadrat kann man nicht verbessern, einen Kreis und ein Oval auch nicht. Darüber habe ich mit Luigi Colani sehr oft gestritten ...

„Der Design-Papst des Bades“

blue Ihre Wohnung ist voller Kunst und hochwertiger Design-Ikonen. Wie wichtig ist Ästhetik im Alltag für Sie?

Sieger Ich bin ein unglaublicher Ästhet. Ich habe einfach Spaß an schönen Dingen. Schon als wir noch jung waren und kein Geld hatten, haben wir in der Familie immer versucht, uns mit schönen Dingen zu umgeben. Später haben meine Frau und ich das große Glück gehabt, in Venedig einen bedeutenden Kunsthändler kennenzulernen, über den wir großartige Kunst erwerben konnten. Nehmen Sie die wunderbaren Glaswerke von Ettore Sottsass. Die kamen damals gerade aus dem Whitney-Museum in New York. Nach harten Verhandlungen und etlichen Gläsern Wein war klar, dass wir die Gläser kaufen. Ich wusste da zwar nicht, wie ich sie bezahlen sollte, aber ich sage immer: Sammeln muss wehtun!

 

blue Sie sammeln Memphis-Design, sind oder waren z. T. mit den Entwerfern befreundet. Was fasziniert Sie an diesen Objekten und was haben die Objekte mit Ihrer Design-Philosophie zu tun? 

Sieger In den 70er-Jahren war ich bereits auf der Möbelmesse in Mailand, da spielte die Musik. Da habe ich die erste Memphis-Ausstellung gesehen – und konnte erst mal nichts damit anfangen. Ich habe gedacht: Jetzt bauen sie Kindermöbel! Aber ich habe mich dann intensiver damit beschäftigt und Mendini, Sottsass und andere kennengelernt. Mit der Zeit fand ich das Memphis-Design immer besser, meine Frau und ich verliebten uns regelrecht in diese Teile. Die haben einfach eine Seele. Irgendwann haben wir dieses Design mit Leidenschaft gesammelt. 

 

blue Gibt es heute noch Design-Innovationen wie damals in den 80er-Jahren? 

Sieger Eher nicht. Memphis war die ganz große Design-Innovation nach dem Bauhaus. Danach ist meiner Ansicht nach nicht mehr viel passiert. 

Unsere Empfehlungen: echte „Sieger“

blue Ihre Heimat, Münster und das Münsterland, gilt nicht gerade als Design-Hochburg. Hat Ihr eher bodenständiges Umfeld Ihre Design-Philosophie beeinflusst? 

 

Sieger Nein, gar nicht. Mein großes Glück ist meine Frau. Sie hat lange in Paris gelebt, war immer schon sehr international und sprach mehrere Sprachen. Mit ihr konnte ich das Leben führen, das mich in die Welt brachte. Gemeinsam haben wir bestimmt 80 Länder bereist. 

 

blue Philippe Starck hat gesagt, Design sei eine typische Erscheinung des Industriezeitalters. Stimmt das, und falls ja, wie geht es nach dem Ende des Industriezeitalters mit dem Design weiter? 

 

Sieger (überlegt lange) Ob ich das so unterschreiben kann? Nein, Design wird es immer geben. Die Frage ist, welche Qualität es haben wird. Ich finde etwa, dass die Architektur in Deutschland nie so langweilig war wie heute. 

 

blue Welcher Gedanke steckt hinter Ihrer „Masterpieces“-Kollektion? 

Sieger Ich wollte nach meinem Ausscheiden bei sieger design noch einmal etwas machen, bei dem mir keiner reinredet. Etwas, bei dem ich ganz alleine entscheiden kann und ich in Sachen Qualität keine Kompromisse machen muss. Lampen oder beispielsweise eine Silberkanne, die auch in zehn Jahren noch genauso gut aussehen wie heute. 

 

blue Haben Sie ein Lieblingsstück aus Ihrer langen Design-Karriere? 

Sieger Ja, die Tara! Mit der werde ich überall sofort assoziiert. Diese Armatur mit ihrem Kreuzgriff finden Sie weltweit. 

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